Rückblick zur Ausstellungseröffnung „Auftakt des Terrors“

/ Erinnerungsarbeit, Jüdische Kulturtage, Projekte

1933 – 90 Jahre nach Machtübertragung an die Nationalsozialisten

„Wir wollen diese Stadt – Plauen unter einem ganz bestimmten Gesichtspunkt betrachten, wir wollen die Spuren des Nationalsozialismus, seiner Täter aufdecken und Opfern gedenken.“

Unter dieser Motivation fand im März diesen Jahres in Plauen die Ausstellung „Einige waren Nachbarn – Täterschaft, Mitläufertum und Widerstand“ des United Staates Holocaust Memorial Museums statt

Im Mai verlasen wir wieder die Titel der Bücher die den Bücherverbrennungen zum Opfer fielen. Parallel dazu fand im Vogtland Museum die Ausstellung „Verbrannte Orte“ statt, die den Orten der Bücherverbrennungen ein Gesicht geben will, damit diese nicht in Vergessenheit geraten – wie sehen die Orte heute aus?

Um die wenigen Monate zu verstehen, in denen der Nationalsozialismus das damalige Deutschland in eine Diktatur umbaute; bis hin zum grausamsten menschlichen Kapitel – dem des industriellen Massenmordes, des Holocaust – muss man auch auf die Schaffung von Strukturen sehen, die dies ermöglichten.

„Seit den Reichstagswahlen im März 1933 richteten die Nationalsozialisten reichsweit 60 bis 100 Konzentrationslager und über 30 „Schutzhaftabteilungen“ in Justiz- und Polizeigefängnissen ein. In ihnen waren 1933 insgesamt über 80 000 Menschen kürzere oder längere Zeit inhaftiert.“

Auch Plauen hatte solche frühen Lager. So wurde beispielsweise das Landgerichts- und Polizeigefängnis, das sich damals im Plauener Rathaus befand, als frühes Lager genutzt. In den ersten Monaten nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten waren hier mindestens 289 Menschen inhaftiert.
Plauen ist auf der Landkarte der Gedenkzeichen an Orten früher Konzentrationslager ein weißer Fleck also ein Ort ohne Gedenkzeichen.

„Die Plauener Stadtgesellschaft hatte verschiedene Krisen erlebt: den Niedergang der heimischen Textilindustrie seit 1912, den Ersten Weltkrieg mit der Inflationszeit und die Weltwirtschaftskrise, in deren Folge Plauen die höchste Arbeitslosenquote unter deutschen Städten verzeichnet. Frühe sächsische Hochburgen der NSDAP sind im Zwickauer Raum und im Vogtland entstanden. 1922 ist in Plauen die erste Ortsgruppe gegründet worden, sie hat Anfang 1925, nach Verbotszeit und Wiedergründung, bereits 1200 Mitglieder und übernimmt damit die sächsische Führungsrolle.

Fragt man nach den Gründen für diesen Erfolgskurs der Partei, muss man das völkische Milieu betrachten, das in Plauen schon früh existiert. Schon im August 1914 kam es in der Stadt zu pogromartigen Ausschreitungen gegen ostjüdische Kaufleute und Konkurrenten im Textilgewerbe, später verankert sich hier der „Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund (DSTB)“. Eine im Vogtland weit verbreitete Heimindustrie, eine geringe Dichte an Gewerkschaften sowie die kurze Herrschaft des Anarcho-Kommunisten Max Hoelz und die damit einhergehende politische Radikalisierung eines Teils des Bürgertums sind weitere Faktoren, die zur Beschreibung der besonderen Verhältnisse in Plauen dienen können.

Schon beim Pogrom 1914 trat ein Kleinunternehmer in Erscheinung, der seit 1907 zu Plauens Spitzenfabrikanten zählt und später Mitglied des DSTB wird, der 1879 geborene Martin Mutschmann. Finanzielle Möglichkeiten, frühe Verbindungen zu Hitler sowie familiäre Vernetzungen auf der kommunalen NS-Ebene ermöglichen den Aufstieg. Mutschmann wird im Sommer 1924 Führer der Landesleitung des „Völkisch-Sozialen Blocks“ (VSB), der die verbotene NSDAP ersetzt. Nach der Wiedergründung der Partei ist nicht die Landeshauptstadt Dresden Sitz der Landes- bzw. Gauleitung, sondern Plauen, die Adresse lautet auf Bärenstraße 61, es ist Mutschmanns Wohnsitz und der Verwaltungssitz seines Unternehmens.

Entscheidend für den Erfolg der NSDAP, für die Mobilisierung und Bindung Tausender in Plauen, sind auch die öffentlichen Auftritte von Adolf Hitler, Joseph Goebbels und Robert Ley in der Stadt. Im Juni 1930 ist sie außerdem Schauplatz des ersten großen Gauparteitags der sächsischen NSDAP, 1932 erringt die Partei in Plauen die absolute Mehrheit.

Mitte März 1933, kurz nach der NS-Machteroberung in Sachsen, wird die Gauleitung in die Landeshauptstadt verlegt. Mutschmann, der über Jahre an der Professionalisierung der Gauleitung und der Durchsetzung seines Führungsanspruches gearbeitet hat, siedeln sich in Dresden an, auf dem Weg zum Spitzenpersonal einer sich etablierenden Diktatur, die mit brutaler Härte gegen politisch Andersdenkende vorgeht.“

Mit der Ausstellung „Auftakt des Terrors“ werden nun diese Prototypen der späteren Konzentrationslager erstmals für ein breites Publikum zugänglich gemacht.

„Vor dieser Ausstellung habe ich mich gefragt: Würde mir jemand helfen? Würde die Gesellschaft noch einmal aufstehen und sagen: So nicht?“ Mit diesen ernsten Worten läutete Doritta Kolb-Unglaub, Vorstandsvorsitzende des colorido e.V., ihre Rede ein.

Die Lücken zwischen Vergangenheit, Geschichte und unserer Erinnerung immer wieder zu schließen, bleibt gerade mit Rufen nach Schlusstrichen und den immer wiederkehrenden Demokratie Bedrohungen dauerhaft unsere Aufgabe – um zu verhindern, dass sich solche Verbrechen wiederholen.

Vielen Dank an die sLAG – sächsische Landesarbeitsgemeinschaft Auseinandersetzung mit dem NS, unseren Landrat & den Vogtlandkreis, Rika Kober & der Partnerschaft für Demokratie im Vogtlandkreis und allen Beteiligten!

Die nächste Veranstaltung „Lücke im Gedächtnis? Verdrängte Erinnerung? – Plauens NS-Geschichte und die Gegenwart“ findet am 9. November um 19.30 Uhr im Theater statt

Quellen
https://slag-aus-ns.de/mitteilungen/motiv-veranstaltungen-herbst-2023/

https://www.stsg.de/cms/stsg/die-errichtung-der-fruehen-konzentrationslager-im-fruehjahrsommer-1933-sachsen

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